Kontrollverlust

Die macht der Worte, das Gefühl zu versagen und der Entschluss, dass es anders laufen sollte, als der Arzt gesagt hatte

Dieser zweite Termin in der Kinderwunsch Klinik hat uns beiden den Boden unter den Füßen weggerissen. 

Aron hatte mir das Rezept abgenommen und direkt in der Apotheke im Klinikgebäude eingelöst. Er wollte es mir nicht zumuten und hatte gesagt, ich sollte im Auto auf ihn warten. 

Ich saß still da und weinte schwarze Mascara Tränen, die mir hässlich die Wangen runterliefen, als er endlich zurückkam und schließlich saßen wir beide im Auto auf dem Parkplatz der Kinderwunschklinik, starrten ins Leere und gaben keinen Mucks von uns.  Abgesehen von meinen Schluchzern, die diese Stille immer wieder durchbrachen. 

Irgendwann fuhr Aron schließlich los – in unser neues Leben. 

Oder zumindest kam es mir so vor. Ich fühlte mich plötzlich nicht mehr wie die attraktive junge Frau, die ich vor einer Stunde noch gewesen war.

Wie konnte das nur passiert sein? Alte Frauen kamen in die Wechseljahre.  Aber ich doch nicht. Nicht mit Mitte Dreißig! 
Ich fühlte mich wie eine Oma – nur eben ohne die Enkelkinder. Ich hatte das Gefühl über Nacht um Jahre gealtert zu sein und auf jeder möglichen Ebene als Frau völlig versagt zu haben. Ich schämte mich in Grund und Boden für diese Diagnose.

Oh Gott, wenn ich heute daran zurückdenke, WIE SEHR ich mich geschämt habe…vor allem vor Aron…dann treibt es mir jetzt immer noch aufs Neue Tränen in die Augen.

Aron ist so ein großartiger Mann. Natürlich hatten wir auch unsere schweren Momente in der Beziehung – wer nicht?!? – aber ich liebte ihn schon damals über die Maßen und es tat mir so unbeschreiblich leid, was ich ihm da antat. 

Heute, und mit etwas Abstand betrachtet, weiß ich, dass ich überhaupt nichts dafürkann, und dass ich ihm auch nicht aktiv etwas antat. Er hat das auch nie so gesehen, aber Gefühle folgen keiner Logik und damals und in diesem Moment habe ich es so empfunden.  

Ich versuchte mich in ihn hineinzuversetzen...er war so jung mit seinen 26 Jahren und er hatte es nicht verdient eine so „alte“ Freundin haben zu müssen. 
Das war es mit Sicherheit auch nicht gewesen, worauf er sich eingelassen hatte, als wir zusammenkamen. Er sollte sein Leben genießen, Spaß haben, und irgendwann – wenn der Zeitpunkt passte – über Kinder nachdenken. Nicht über Hormonersatztherapien, Hitzewallungen und Libido Verlust. 

Ich fühlte mich wie eine zentnerschwere Last, die ihm am Bein klebte und von einer Sekunde auf die andere hatte ich ihn der Möglichkeit auf eine eigene Familie beraubt, also bot ich ihm aufrichtig die Möglichkeit an ihn aus der Beziehung zu entlassen und sich eine andere Frau zu suchen. Eine, mit der er noch eine Familie würde gründen können. 

Aron sah mich panisch aus weit aufgerissenen Augen an. Er nahm mich fest in die Arme und beteuerte immer wieder, dass er nur mich wollte und, dass wir schon einen Weg finden würden eine Familie zu werden. Egal wie. Für ihn kam es keine Sekunde in Frage, dass wir uns trennen würden, aber ich meinte es todernst. 

Als er es endlich geschafft hatte mich zu beruhigen nahm ich schließlich die verhasste Pille ein, die mein Schicksal als Oma für immer besiegeln würde…

Es kam mir so unendlich grotesk und paradox vor im Kinderwunsch eine Pille zu nehmen, die verhindern sollte, dass ich schwanger werden konnte – auch wenn die Wahrscheinlichkeit, dass das passieren würde sehr gering war. 

Ich bin von Haus aus ein Mensch, der dazu neigt sich am auch nur kleinsten und zartesten Grashalm von Hoffnung festzuklammern als wäre er ein mit absoluter Sicherheit die Rettung bringender massiver Anker. Deswegen passte mir diese Pille überhaupt nicht in den Kram. 

Aber sie tat - zu meiner Empörung - was sie sollte. Bereits am vierten Tag spürte ich, dass die Hitzewallungen deutlich besser wurden. Nach etwas mehr als einer Woche waren sie vollständig verschwunden und ich konnte wieder schlafen. 

Langsam fühlte ich mich wieder wie ein Mensch. Wie ich selber. Und es dauerte nicht lang bis auch meine Libido sich nochmal Gehör verschaffte. Es war an der Zeit zuzugeben, dass es sich doch ganz gut anfühlte wieder eine Frau zu sein und vor allem ich selber. 

Aron war, glaube ich, noch glücklicher darüber als ich und wir fanden endlich, und zum Glück auch ziemlich schnell, wieder zurück in unsere Beziehung. 

Doch das Vertrauen in den Prozess fiel mir irre schwer. Ich konnte nicht so einfach sechs Monate lang loslassen, mein Leben leben und nicht darüber nachdenken ob nach diesen sechs Monaten unser Problem gelöst sein würde oder nicht. 
Und falls nicht…hey, dann war es eben so. Wir konnten schließlich immer noch ins Ausland fahren und uns da für viel Geld eine hübsche Eizelle kaufen. Yeeeay! 

Nein, so funktioniere ich nicht. Und so sah ich das auch überhaupt nicht in meinem Kopf ablaufen.

Es ist seltsam, wie man sich jahrelang kaum Gedanken über eine Sache macht – oder zumindest ist der einzige Gedanke, wie man diese Sache aktiv verhindern kann – und dann…sagt dir jemand, dass du diese eine Sache nicht haben kannst und du merkst auf einmal wie sehr du sie eigentlich willst. Und plötzlich geht es um nichts anderes mehr. 

Und so war es. Ich konnte an nichts anderes mehr denken als daran ein Baby zu bekommen und wie ich es doch noch möglich machen kann. 

Mit rasendem Tempo entwickelte mein Kinderwunsch ein Eigenleben, das ich keinen Moment lang unter Kontrolle hatte, das jeden Aspekt meines Lebens in ein völlig neues Licht tauchte und alles für sich vereinnahmte - und das mich antrieb um jeden Preis eine Lösung zu finden. 
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