Endlich schwanger

Inzwischen war es April. Ich stand kurz vor dem Ende meines zweiten Bilderbuchzyklus in Folge. Mein Mira Analyzer zeigte mir deutliche Hormonanstiege in den Zykluskurven an und wir wussten, es dauert nicht mehr lange bis wir schwanger sind. Es war eine Bilderbuchidylle und es stellte sich so ein ungewohnt, aber herrlich normales Gefühl ein. 
Wir waren endlich ein normales Paar mit normalen Chancen ein Baby zu bekommen und wir genossen dieses Gefühl mit allem was wir hatten – nicht zu Letzt, weil es sich (gelinde gesagt) überaus positiv auf unser Liebesleben auswirkte, dass meine Libido wieder zum Leben erwacht war ;-)

In all den Jahren unerfüllten Kinderwunsches hatten wir im Grunde genommen nur noch Sex gehabt, wenn eine (wenn auch unrealistisch kleine) Chance bestand schwanger zu werden. Es hatte unseren Vibe völlig zerstört. Das wunderschöne, harmonische und gut funktionierende Liebesleben, dass wir mal gehabt hatten war durch meine Diagnose und den Kinderwunsch völlig zerstört worden. 

Ich hatte mich selbst jedes Mal zum Sex gezwungen, weil ich den Kinderwunsch vorantreiben und die Chance nutzen wollte, obwohl ich überhaupt keine Lust oder Libido mehr hatte. Und Aron hatte keine Lust mehr, weil er sich nur noch wie ein Samenspender fühlte, der auf Knopfdruck funktionieren musste, was in ihm selbstverständlich auch ein Gefühl von Zwang ausgelöst hatte…

Im Grunde ist so etwas das schlimmste – oder mit das schlimmste – was einer Beziehung passieren kann, denn man verliert die Lust und auch die Leidenschaft auf und füreinander und irgendwie haben wir unser Liebesleben dadurch auch…verlernt. 
Es war über die Kinderwunschjahre mechanisch und monoton geworden und hatte all seine Kreativität und Schönheit verloren.

Doch seit mit der Darmkur mein Zyklus und meine Fruchtbarkeit wieder „angesprungen“ waren, mit ihr auch meine Libido zurück ins Leben gekehrt war und ich dieses Vertrauen in meinen Körper und meine Fruchtbarkeit zurückgewonnen hatte, fanden Aron und ich auch wieder zu uns und unserem Liebesleben zurück und ganz ehrlich, Leute…wir genossen es beide so sehr, dass es plötzlich auch nochmal um uns beide dabei ging und nicht mehr nur um das Kind, das noch nicht mal existierte, das wir aber unbedingt haben wollten…Denn wir hatten endlich Vertrauen in den Prozess.

Und bei all dem Genuss über unsere neugewonnene Vertrautheit kam eines Tages der Punkt an dem mich ein Gedanke traf wie ein Blitz: Olaf! 

Wir hatten ja noch Olaf auf Eis liegen! Als wir Olaf im vergangenen Sommer auf Kryo gelegt hatten, hatten wir uns selber das Limit von einem Jahr gesetzt. 

Ich meine - so blöd der Spruch auch klingt - ich werde ja nicht jünger und wir fanden, dass ein weiteres Jahr reichen musste um zu versuchen auf natürlichem Wege schwanger zu werden. 
Sollten wir es nicht schaffen, würden wir Olaf auftauen und einsetzen. 

Selbstverständlich konnten wir damals noch nicht ahnen welche bombastischen Auswirkungen die Darmkur haben würde (oder, dass sie überhaupt in unser Leben treten sollte) und, dass sie mir wieder einen normalen Zyklus bescheren würde. 
Aber hey…es war unsere eigene Frist, die wir uns gesetzt hatten und wenigstens war – Dank dieser Darmkur – mein Körper in der bestmöglichen Verfassung für eine Schwangerschaft. 

Also sprach ich Aron bei der nächsten Gelegenheit darauf an…ehrlicherweise etwas verunsichert welche Reaktion mich erwarten würde…

„Du, Schatz…“ 

„Hmmm?“ brummte er nur halb anwesend.

„So langsam nähert sich unser Kryojahr dem Ende…was wollen wir tun? Wollen wir den Tranfer jetzt machen oder willst du noch warten?“

„Ach so, ja stimmt…na dann machen wir den Transfer. Oder?“

Ich war ein wenig überrascht, wie schnell er diese Entscheidung getroffen hatte. Ich meine, ich wusste, dass er sich inzwischen auch, mit allem was er hatte, ein Baby wünschte, aber der Beginn unserer Kinderwunschzeit war ja schon sehr hart gewesen. 
Und die ersten eineinhalb Jahre war ich im Grunde genommen allein damit gewesen, weil Aron sich ja nicht so wirklich damit hatte identifizieren können. 
Inzwischen war das ganz anders, aber ich merkte in dem Moment, wie sehr die Erinnerung an diese Zeit noch präsent in meinem Kopf war…

„Ja“, strahlte ich ihn glücklich an. „Ok, dann ruf ich morgen früh die Carola an und frage sie wie es jetzt weitergeht…“

Und das tat ich auch. Sie flötete mir in diesem liebevollen Ton ihre freundliche Begrüßung ins Ohr, die mir jedes Mal so ein warmes und willkommenes Gefühl gibt, wenn ich in dort anrufe…

„IVF-Life, Alicante. Sie sprechen mit Carola Jochim :-) “ 

„Hi Carola, hier ist Julia“, trällerte ich zurück und ich konnte augenblicklich durchs Telefon hören, wie sie strahlte. 

„Ja, hallo Julia :-) Das ist ja fein. Wie geht’s dir?“ 

Ich erzählte ihr kurz von den letzten Wochen mit der Darmkur und, dass ich wieder einen normalen Zyklus bekommen hatte. Sie war völlig begeistert und ich konnte die Aufrichtigkeit in ihrer Freude hören. 

„Weshalb ich aber eigentlich anrufe…auch wenn mein Zyklus jetzt so gut läuft und alles…ich werd ja nicht jünger und bald ist es ein Jahr her, dass wir bei Euch waren…deswegen haben wir uns entschieden Olaf aufzutauen und einzusetzen…“

„Ja, gerne. Ach wie schön“, freute sie sich. „Dann werde ich das mit einem der Ärzte besprechen – Hector ist leider nicht mehr da. Er ist aus privaten Gründen in sein Heimatland zurück gegangen, deswegen müssen wir Euch einen neuen Arzt zuteilen. Hast du einen bestimmten Wunsch? Dr. Pack vielleicht?“

Ich kannte Dr. Pack aus Webinaren und fand den Vorschlag toll. 

„Ja, gerne. Oliver Pack wäre jetzt auch meine Wahl gewesen :-)“, flötete ich fröhlich.

„Wie geht’s denn jetzt weiter? Wir dachten uns, wir versuchen es mit meinem neuen Superzyklus jetzt noch auf natürlichem Wege bis dahin und wenns wirklich nicht klappt, machen wir dann im Sommer den Transfer...?“

Ich hatte überhaupt keine Ahnung. Soweit waren wir bisher ja noch nie gekommen. Wir waren alte Hasen im Kinderwunsch Game, aber soweit, dass ein Embryotransfer besprochen werden konnte hatten wir es ja noch nie geschafft…was das anging waren wir blutige Anfänger. 
In meiner naiven Vorstellung konnten wir jetzt noch zwei bis drei Zyklen auf natürlichem Weg fröhlich weiter versuchen und idealerweise würde es kurz vor dem Transfertermin doch noch klappen, sodass wir Olaf auf Kryo liegen lassen konnten bis wir ein Geschwisterchen für das „natürliche“ Baby haben wollten.

Was für ein Masterplan! 

Aber den Zahn zog Carola mir recht schnell…

„Ja, das könnt Ihr gerne so machen. Einen Zyklus habt Ihr dann noch zum Versuchen. Der Zyklus danach ist dann ein Probelauf. Da testen wir die Medikamente und wie du darauf ansprichst, damit wir im nächsten Zyklus, wenn wir dann den Transfer machen, keine Überraschungen erleben und wissen worauf wir uns einstellen müssen.“

Zu sagen ich wäre überrascht gewesen wäre maßlos untertrieben. 

Was? Nur noch ein Zyklus? Und dann geht’s im Grunde schon los mit allem??? Oh mein Gott, warte. Warte! WARTE!! Passiert das grade wirklich? Planen wir jetzt ernsthaft unseren Embryotransfer? Bin ich dann echt im Juli schwanger?? 

Panik. 

Ich hatte mich über die letzten dreieinhalb Jahre so sehr daran gewöhnt zu scheitern und, dass nichts funktionierte, egal was wir taten, dass ich mit dieser greifbaren Realität, die gerade wie ein riesengroßer gelber Schulbus auf mich zuraste, völlig überfordert war. 

Ich meine, ja klar. Wir hatten es ja mit der Eizellpunktion und der Kryokonservierung unseres Embryos schon irgendwie drauf angelegt, dass am Ende eine Schwangerschaft dabei rauskam. 
Aber fast ein Jahr lang war das alles irgendwie so weit weg gewesen…wie das Abitur, wenn man ins Gymnasium eingeschult wird. Klar, man weiß, dass in acht bis neun Jahren irgendwann das Abi kommt, aber das ist so unendlich weit weg, dass man es bis kurz vor den Prüfungen gar nicht greifen kann…so war es mir mit dem Embryotransfer gegangen und jetzt wurde es so echt und…naja…eben greifbar. 

Und ich wusste – ich ahnte oder glaubte nicht einfach nur, nein – ich wusste mit aller Sicherheit: wenn wir diesen Embryo einsetzen, werde ich auf jeden Fall schwanger! Olaf wird sich weiterentwickeln und einnisten. Das war kein Mantra oder sowas mit dem ich mir selber gut zureden wollte. Es war eine Gewissheit, die ich hatte, fast wie eine Zukunftsvision. 

Innerlich begann ich also gar nicht mich auf den Transfer vorzubereiten, sondern darauf, dass ich definitiv in Kürze schwanger sein würde. 

Und dann ging alles so schnell…der letzte natürliche Zyklus lief genauso perfekt ab wie die anderen beiden zuvor, ging aber negativ aus und ehe wir uns versahen startete der Probezyklus. 

Interessanterweise baute sich meine Gebärmutterschleimhaut in diesem Probezyklus unter Östrogenmedikation nicht so gut auf wie in den natürlichen Zyklen zuvor. 
Ich meine, die Schleimhaut war hoch genug aufgebaut, etwas über 8 mm, und sie zeigte auch einen dreischichtigen Aufbau, aber nach den 9, 10 und 12 mm aus den vergangenen drei Monaten kam mir dieses Ergebnis unter Stimulation fast etwas schlecht vor.

Unser Arzt in Spanien aber war zufrieden. Er sagte, dass er einen Transfer auch bei 6 mm Schleimhautaufbau durchführen würde und da lägen wir ja dicke drüber. Dr. Pack sagte, dass die Schleimhaut super aussehe und dem Transfer im nächsten Zyklus so nichts im Wege stünde. Wir sollten unsere Flüge, das Hotel und den Wagen, der uns abholen sollte, buchen. 

Allerdings war mein Progesteronwert so eine Sache…der Wert war trotz meiner Einnahme von 800 mg Utrogest Luteal grenzwertig und kurzzeitig sah es so aus als könnte der Transfer nicht am Schleimhautaufbau, dafür aber am Progesteronwert scheitern – jedenfalls war das meine Befürchtung. 

Donnerstag Früh sollte der Transfer stattfinden. 

Am Donnerstag Mittag, in der Woche davor, sagte Dr. Pack uns, dass ich unbedingt noch einmal den Wert bestimmen lassen soll, damit wir wirklich sicher sein konnten, dass er ausreichend war. Ich stand völlig unter Strom.

Gleich in der Früh am Freitag fuhr ich also den ganzen Weg zu meinem Gynäkologen um mir Blut abnehmen zu lassen und ich flehte die Sprechstundenhilfe an einen Eilbefund anzufordern. Sie sicherte mir zu, dass der Wert bis 13 Uhr vorliegen würde, was er aber nicht tat. 
Die Praxis schloss auch um diese Uhrzeit und ich lief das Wochenende über fast amok, weil ich mir solche Sorgen machte, dass jetzt alles in Wasser fallen würde. 

Am Montag um kurz nach 9 Uhr kam dann endlich der erlösende Anruf und ich leitete den Wert sofort nach Alicante weiter. 
Es dauerte nicht lange bis die Rückmeldung unserer Patientenbetreuerin, Maria, kam. Sie gab uns grünes Licht für den Transfer und so packten wir unsere Koffer um uns am nächsten Tag auf den Weg zu machen. 

Diesmal würden wir einen Direktflug von Frankfurt aus nehmen und da Arons Verwandtschaft in der Nähe zum Flughafen lebt hatten wir beschlossen bei seiner Cousine und ihrem Mann zu übernachten um nicht am Mittwoch schon morgens um drei Uhr von zu Hause aus Richtung Flughafen aufbrechen zu müssen. 

In drei Stunden durchfliegen zu können war eine Wohltat im Vergleich zur Odysse im letzten Jahr, bei der wir allein 11 Stunden Zwischenstopp in Zürich gehabt hatten. Das war uns eine Lektion gewesen…

Wesentlich ausgeruhter als beim letzten Mal kamen wir in Alicante an und es fühlte sich tatsächlich an wie nach Hause kommen. 
Nach einem herzlichen Wiedersehen in der Klinik, dem auch ein mini kleines Fotoshooting folgte, gingen wir noch mit Carola eine Eislimonade trinken und machten uns dann entspannt zurück zum Hotel. 

Ich wollte unbedingt nochmal ins Meer, weil das nach dem Transfer erstmal nicht erlaubt sein würde. 

Und dann war er da. 

Der 06. Juli 2023. 

Transfertag. 

Ich hatte eigentlich erwartet, dass wir beide völlig aufgeregt und aus dem Häuschen sein würden, aber interessanterweise waren wir total ruhig, entspannt und wirklich gelassen. 

Ich glaube, wir hatten einfach beide ein so unumstößliches Vertrauen, dass da Aufregung oder Angst gar keinen Platz hatten und auch in der Klinik selber war die Atmosphäre so entspannt, dass sie überhaupt nicht den Eindruck erweckte, es könnte hier gleich ein medizinischer Eingriff stattfinden. 

Das Personal der Klinik pflegt einen so charmanten und gekonnten Umgang mit dieser Situation und ist so zauberhaft geübt darin, die Ernsthaftigkeit des anstehenden Eingriffs mit wunderschönen Worten und Umschreibungen zu überschminken, dass man sich mehr fühlt wie kurz vor einer Spa Behandlung also vor dem Gang in einen OP. 

Und genauso reibungslos und entspannt wie der Tag begonnen hatte verlief auch unser Transfer.  Aron und Carola haben alles mitgefilmt, wer sich also dafür interessiert kann das gesamte Video unseres Transfers auf meinem YouTube Kanal ansehen.

Mit den Worten: „So, das war ein perfekter Transfer“ beendete Oliver Pack den Eingriff und entließ uns in drei weitere Tage, die wir noch in Alicante genießen wollten bevor es für uns und Olaf zurück nach Hause ging. 

Olaf war ein Tag 3 Embryo gewesen. 

Noch zwei Tage bis zum Blasozystenstadium und dann noch maximal ein halber Tag bis er schlüpfen und sich einnisten kann. 

Ich achtete auf jede kleine Veränderung. Jedes Zwicken, Ziehen oder Piecksen und dann endlich, ziemlich genau zweieinhalb Tage nach dem Transfer, wachte ich morgens auf und spürte ein Ziehen auf der rechten Seite meines Bauches, das sich anfühlte wie ein leichter Muskelkater und ich wusste,  das ist es! 

Olaf hatte es geschafft. Den Tag über spürte ich diesen „Muskelkater“ recht deutlich und am nächsten Tag, als wir zurück nach Hause flogen, war es schon fast wieder verschwunden. 

Am Montag Morgen, ES+7, spürte ich nichts mehr, wusste aber innerlich schon, dass es geklappt hatte. 

Und als ich am Dienstag, den 11.07.2023, ES+8, aufwachte, hielt ich es nicht mehr aus. Ich nahm früh morgens einen der billo Amazon Streifentests und war weder enttäuscht, noch überrascht, als er ein negatives Ergebnis anzeigte. 

Wird wohl noch zu früh sein, dachte ich bei mir…und zum ersten Mal in meinem Kinderwunschleben meinte ich es genauso, ohne mich dabei nur beruhigen zu wollen.

Aber mittags an diesem Tag um kurz nach 14 Uhr fiel mir ein, dass ich noch einen anderen Test zu Hause hatte, der bei einer Freundin von mir recht früh die Schwangerschaft angezeigt hatte. 

Also nahm ich diesen weiteren Test und obwohl ich natürlich um die Uhrzeit schon getrunken hatte und mehrfach auf der Toilette gewesen war, konnte ich nicht bis zum nächsten Morgen warten. 

Und dann war es soweit. 

Zum ersten Mal in meinem Leben lief die rosa Farbe über das Sichtfeld und zeigte sofort eine zweite, hauchdünne Linie an, von der ich aber im selben Moment noch wusste: DAS IST ES! 
Dieses Bild habe ich, sofort nachdem die Farbe durchgelaufen war, aufgenommen am 11.07.2023, 14:11 Uhr.
Es gab kein Stricheraten, wie in der Vergangenheit immer. Kein hin und her Drehen und nach dem besten Lichteinfall suchen um zu sehen ob die Linie wirklich da oder nur eingebildet war. Ja, die Linie war blass, kaum sichtbar, aber sie war da. Sie war Rosa und sie bedeutete: 

Ich bin endlich schwanger.
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