Ein etwas anderes Baby…

…und eine paradoxe Therapieform

Aron hatte mich angefleht endlich einen Therapeuten aufzusuchen. 

Ich kam mit der Diagnose unfruchtbar zu sein an sich schon nicht gut klar, aber dass ich frühzeitig in die Wechseljahre gekommen war schlug dem Fass den Boden aus. 
Wir hatten uns von der Kinderwunschklinik Hilfe erhofft, aber dieses Hin und Her und die Tatsache, dass wir uns dort weder ernstgenommen noch gut aufgehoben fühlten machte die Sache für mich unerträglich.

Ich war mit riesengroßen Schritten auf eine handfeste Depression zugesteuert und hatte inzwischen kaum noch die Kraft mein Leben zu bewerkstelligen. Unsere Beziehung war nur einer der Kollateralschäden, die ich auf meinem Weg ins schwarze Nichts hinter mir ließ. 

Das Einzige, was mein Herz erwärmen konnte war Ralfi, ein kleiner Braque D´Auvergne Welpe, der gerade bei uns eingezogen war. Ich glaube, Aron hoffte, dass Ralfi mich ein bisschen auf andere Gedanken bringen würde und, dass ich dann „etwas hätte, um das ich mich kümmern kann“. 

Und irgendwie war es auch so.  Aber nicht ganz auf die Art wie Aron sich das vorgestellt hatte, glaube ich. 

Ralfi war mein erklärtes Baby. Der kleine Knirps wurde von mir in diese Rolle gezwängt und ich kompensierte meinen Kinderwunsch komplett über ihn. 

Plötzlich störte es mich arbeiten zu gehen, weil ich das Gefühl hatte bei ihm sein zu müssen.  Als würde ich mein Kind im Stich lassen, wenn ich nicht da bin…das machte mir mein Leben nur noch schwerer, anstatt einfacher, weil meine Gedanken pausenlos um ihn kreisten und ich ein unkontrollierbares Bedürfnis hatte mich wie eine Glucke um ihn zu kümmern. 

Ich weiß, dass das rational gesehen natürlich Quatsch ist, aber auf einer emotionalen Ebene fühlte ich mich wie jemand, der Anspruch auf  Elternzeit hatte, aber nicht in Elternzeit sein konnte. Denn wer gewährt schon Elternzeit für einen Hund?  Dieses Gefühl quälte mich.

Und dazu stellte sich mir die alles entscheidende Frage: wie sollte ich bitte die Zeit rum kriegen bis die Cyclo Progynova Phase wieder mal vorbei war…? Ein für mich unlösbares Rätsel...

Es war ein Mittwoch Nachmittag. Ich hatte Feierabend und war dann direkt zu meinem Therapeuten gefahren. Ich hatte irrsinniges Glück gehabt so schnell einen Therapieplatz bekommen zu haben. 

Kraftlos, freudlos und völlig antriebslos saß ich im Sessel vor ihm und bemerkte überhaupt nicht, in welchem Zustand ich tatsächlich war, als er plötzlich zu mir sagte: „Ich zieh Sie jetzt aus dem Verkehr, bevor Sie mir noch suizidale Absichten bekommen. Sie brauchen einfach Ruhe und Abstand! Was halten Sie von einer psychosomatischen Reha Klinik?“ 

Darüber hatte ich noch nie nachgedacht, aber ohne groß zu überlegen schoss die Antwort aus mir heraus: „Sehr viel!“

Und damit war es besiegelt. Er schrieb mich arbeitsunfähig, erklärte mir wie der weitere Weg sei, was ich jetzt wo beantragen musste um die Reha machen zu können und – die wichtigste Information von allen – dass es Kliniken gäbe, in die ich Ralfi mitnehmen konnte. 

Die Beantragung ging ziemlich schnell und nach einer Woche hatte ich bereits den Genehmigungsbescheid, aber da ich Ralfi mitnehmen wollte und mir dafür eine Klinik in Thüringen ausgesucht hatte, die nur eine begrenzte Anzahl an Hundezimmern hatte, musste ich sechs Monate auf meinen Platz dort warten. 

Für meinen Therapeuten stellte das kein Problem dar. Er arbeitete in der Zeit weiter mit mir und schrieb mich jeden Monat aufs Neue krank. Ich hatte absolut keine Kraft mehr mein Leben zu bewerkstelligen, geschweige denn zu arbeiten. 
Das was ich empfand kann man sehr gut vergleichen mit Trauer. Ich trauerte um mich und mein Leben und um die Version meines Lebens von der ich immer sicher gewesen war, dass sie eines Tages Wirklichkeit werden würde und ohne die ich keine Erfüllung in meinem Leben sah. 

Für mich war es so, als säße ich seit Jahren im Kino um mir den Film meines eigenen Lebens anzusehen.  Aber es lief immer nur ein nicht enden wollender Vorspann und der Hauptfilm, der mich als stolze und glückliche Mama zeigen würde, wollte einfach nicht anfangen. Ich würde nie wirklich in meinem eigenen Leben ankommen…

Inzwischen war es September und eine neue Kontrolle in der Kinderwunschklinik, nachdem die Cyclo Progynova Phase endlich vorbei war, hatte zur Folge gehabt, dass die Ärzte die Behandlung abbrechen wollten. 

„Also Frau Sauber, ich muss Ihnen jetzt mal mit aller Härte die Hoffnung nehmen!“ sagte der Arzt zu mir. 
„Das ist einfach nicht realistisch, was Sie sich vorstellen. Wir versuchen es jetzt schon seit neun Monaten und ihre Eierstöcke reagieren einfach nicht." 
Er versuchte es verständnisvoll und sanft klingen zu lassen, aber seine Worte waren wie Säure.
"Sie werden kein eigenes Kind haben können und sollten endlich eine Eizellspende in Betracht ziehen! Wir haben das im Ärzteteam besprochen und wir sind einstimmig der Meinung, dass wir die Behandlung abbrechen wollen, weil wir einfach keinen Sinn darin sehen.“

Ich hatte mich immer als Hausfrau und Mutter gesehen. Das war der Gedanke über den ich mich, seit ich denken konnte, definiert hatte und der war nun zum Tode verurteilt….Mein ganzes Leben, wie ich es geplant hatte…weg, in einer Sekunde. 

Mit diesen wenigen Worten hatte der Arzt mein Herz geschreddert. Es lag in tausend Teile zerbrochen vor mir auf dem Boden des Untersuchungszimmers und ich spürte, wie mir heiße Tränen in die Augen stiegen. 
Ich konnte es nicht fassen, dass ich nach nur neun Monaten schon abgeschrieben werden sollte, wo andere Paare doch Jahre in Kinderwunschkliniken zubringen. 

Mit letzter Kraft versuchte ich die Tränen weg zublinzeln und mich zusammen zu reißen. Ich erklärte dem Arzt, dass ich in zwei Monaten ohnehin für einige Zeit eine Reha antreten würde um zu lernen mit diesem Thema umzugehen und flehte ihn an, es nach dieser Zeit doch nochmal zu versuchen. 
Ich sagte ihm, dass ich gerade den Gynäkologen gewechselt und der die Idee in den Raum geworfen hatte, mich nochmal für 6 weitere Monate auf die Pille zu setzen um danach zu sehen, wie sich alles entwickelt hat, weil es nach der Pille häufig nochmal gut klappen könnte. Das würde doch zeitlich alles gut zusammenpassen.

Widerwillig ließ er sich darauf ein und acht Wochen später traten Ralfi und ich unsere Reise nach Thüringen an – im Gepäck die Anti Baby Pille. 

Ich wollte mit allen Mitteln ein Baby bekommen, nahm die Anti Baby Pille und war auf dem Weg in eine Reha Klinik, in der ich lernen sollte, meine Unfruchtbarkeit anzunehmen. 

Es war an Paradoxie nicht zu überbieten. 
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