Diagnose Frühzeitige Wechseljahre

Wie ein einziger Tag alles ändern kann…

Nach dem Telefonat mit meiner Ärztin – muss ich zugeben – überriss ich die ganze Tragweite dieses ominösen AMH Wertes noch nicht so ganz. 

Obwohl ihre Worte im Grunde recht klar gewesen waren dachte ich mir, dass uns in der Kinderwunschklinik bestimmt geholfen wird. Ich kannte den Klinikchef seit fast 20 Jahren und war sicher, er würde das schon hinkriegen. 

Die erste Hürde war dann aber allein schon einen Termin in der Klinik zu bekommen. Dass eine persönliche Beziehung zum Chef bestand brachte mich keinen Zentimeter weiter. Wir mussten fast drei Monate auf unseren ersten Termin warten. Und der war dann alles in allem auch noch ziemlich enttäuschend. 

Am Vormittag des 11.01.2021 war es endlich soweit. Ein Montag. Voller Hoffnung und mit riesigen Erwartungen fuhren Aron und ich zu unserem ersten Termin. 

Ich hatte im Voraus bereits die gesamte Patientenakte aus der Praxis meiner Gynäkologin per E-Mail an die Klinik gesendet, damit sie wirklich alle Befunde vorliegen hatten. Aron und ich hatten auch schon einen Anamnesebogen ausgefüllt, der nahezu unser gesamtes Leben abgefragt hatte. Ich war sicher, dass alles gut vorbereitet war und wir nun sofort mit der Behandlung starten konnten – wie auch immer die aussehen würde.

In meiner naiven Vorstellung würde ich untersucht werden, der Arzt würde mir zweimal am Ohr kurbeln und drei Kreuze über den Bauch pinseln, vielleicht ein Rezept für ein oder zwei Mittelchen mitgeben und kurz darauf würde ich bestimmt schwanger sein. So oder so ähnlich stellte ich es mir vor. 

Die ernüchternde Realität sah so aus, dass wir ins Besprechungszimmer gerufen wurden und der Arzt mir nochmal mitteilte, dass mein Anti Müller Hormon Wert, der sogenannte AMH, mit 0,35 irrsinnig schlecht war. 

Ich konnte diese Information aber nicht greifen. Ich verstand nicht WIRKLICH was sie bedeutete. In meiner Wahrnehmung gab es so etwas wie Unfruchtbarkeit nach wie vor nicht. 

Er erklärte mir, dass da noch andere Hormone neben dem AMH eine Rolle spielen. „Wenn dein AMH jetzt so niedrig ist und dein FSH, zum Beispiel, bei 100 liegt…dann brauchen wir da gar nicht viel versuchen, das wird eine Irrfahrt ins Nirgendwo. Aber das ist erst mal nur Theorie. Wir machen jetzt zu allererst mal Blut und dann kommst du die Tage nochmal zur Besprechung und dann sehen wir weiter.“

„Na super“, dachte ich bei mir „schon wieder ein neues Hormon, von dem ich noch nie gehört hab.“

Das Gespräch war also überraschend schnell wieder vorbei und nachdem ich ein Röhrchen Blut abgegeben hatte, wurden wir mit einem Termin für den kommenden Mittwoch wieder nach Hause geschickt. 

Im Nachhinein denke ich mir, das hätte man auch abkürzen und mich einfach vorher schon zur Blutabnahme bestellen können…aber was weiß ich schon…

Als wir also zwei Tage später nochmal zur Besprechung kommen mussten wurde mir ganz anders als wir das Besprechungszimmer betraten und ich seinen Gesichtsausdruck sah. Es war nichts Gutes darin zu lesen. 

„Julia…ich lauf den ganzen Vormittag schon wie Falschgeld hier durch die Praxis, weil ich einfach nicht weiß, wie ich es dir sagen soll. Ich konnte es nicht glauben, dass das wirklich deine Hormonwerte sind…“

Aron saß neben mir, sah etwas irritiert aus und gab keinen Laut von sich. 

„Dein AMH liegt unter der Nachweisgrenze. Er ist praktisch nicht mehr vorhanden obwohl er vor drei Monaten noch bei 0,35 lag und dein FSH ist völlig durch die Decke bei 92…der sollte normalerweise so um die 10 liegen.“. 

Er gab mir einen Moment Zeit zu reagieren, aber ich verstand noch immer nicht ganz was er mir zu sagen versuchte…als er das bemerkte sagte er etwas, das ich nie vergessen werde:

„Du hast die Hormonwerte einer 70-Jährigen. Kein Mann auf der Welt – weder Aron, noch ich, noch sonst jemand – wird dich je schwanger kriegen. Nicht mit deinen eigenen Eizellen.“

Tilt. Programmabsturz. 

Aron wich alle Farbe aus dem Gesicht. Er erstarrte zur sprichwörtlichen Salzsäule.

„Was sagst du da? Wie meinst du das? Worüber reden wir hier?“

Ich konnte meine Gedanken nicht sortieren.

„Um es beim Namen zu nennen: Wir reden hier über Wechseljahre. Und zwar volles Programm und schnell fortschreitend. Du müsstest eigentlich häufig Hitzewallungen haben…ist da was bei dir?“ 

Jetzt fiel der Groschen. Hitzewallungen! DAS war es. Ich hatte keine Fieberschübe. Ich hatte die ganze Zeit über Hitzewallungen gehabt. 

„Ooooh ja!“, sprudelte es aus Aron heraus wie die Niagara Fälle: „Sie reißt nachts alle Türen und Fenster auf, steht nackt auf dem Balkon und ich frier mir den Hintern ab!“ 

Der Arzt nickte langsam, als würde jetzt alles einen Sinn ergeben. „Was ist mit deiner Libido? Die dürfte eigentlich auch nicht mehr vorhanden sein…?“ 

Aron blickte etwas betreten zur Seite und ich dachte kurz nach. „Ja, jetzt wo du es sagst. Stimmt…da ist nichts. Gar nichts mehr.“

„Ja, das ist normal. Das passt alles ins Bild…“

Ich hatte bitterlich angefangen zu weinen und ich konnte überhaupt nicht mehr aufhören. 

In seinem Gesicht sah ich, dass ihm das Ganze irrsinnig leidtat, aber ich konnte auch eine gewisse…Festgefahrenheit erkennen, die ich in diesem Moment noch nicht deuten konnte, mit der ich zu einem späteren Zeitpunkt aber noch Bekanntschaft machen sollte. 

Als ich ihn fragte, was wir tun könnten, oder ob es denn irgendetwas gäbe womit ich diesen Prozess verlangsamen, aufhalten oder vielleicht sogar umkehren könnte verneinte er das vehement und sagte, dass er mich jetzt erst mal auf eine Hormonersatztherapie setzen würde. 

Cyclo Progynova hieß das Zaubermittel und es würde für die nächsten sechs Monate mein neuer bester Freund werden. Ein Präparat, dass Frauen bekommen, wenn sie die Wechseljahre bereits vollständig durchlaufen haben. 

Es sollte meine Hormone ins Gleichgewicht bringen, die Hitzewallungen stoppen, meine Libido nochmal ankurbeln und allgemein dafür sorgen, dass ich mich nochmal mehr wie eine Frau fühlte. 

Und vielleicht – ganz vielleicht – sagte er, könnten wir in sechs Monaten nochmal schauen, wie sich die Hormone dann eingependelt hätten, ob der FSH Wert runter gegangen wäre und ob man dann über eine Ovarielle Stimulation nachdenken könnte. Aber wirklich nur vielleicht. 

Und eine Schwangerschaft wäre in diesen sechs Monaten völlig ausgeschlossen. 
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